Ich sitze entspannt im gemütlichen Sessel, ein Glas voll herrlichen Rotwein in der Hand und schaue hinüber zum Tisch an dem Christiane sitzt. Total vertieft in einem wohl sehr spannenden Buch. Wir haben uns diese Ruhe verdient. Gestern war große Party. Zu meinem 50zigsten. Voller Genuss blicke ich durch den rubinroten Blauburgunder in meinem Glas. Dabei fällte mein Blick auf den wundervollen Strauß Blumen, der auf den Tisch steht, an dem meine Frau sitzt.
Ein Strauß, zusammengestellt in den französischen Farben Rot, Weiß, Blau. Es ist kein Geburtstagsstrauß. Nein, diese Blumen sind von mir. Ihr geschenkt zu unserem ersten Hochzeitstag. Ich ließ ihn etwas kürzer ausfallen, denn oben in der Mitte sollte eine tiefrote Rose thronen, als Symbol für unser erstes eheliche Jahr. Ich nahm einen Schluck des fruchtigen, trockenen Weines aus Südtirol und schmunzelte in mich hinein: Jetzt hatte ich keinen Geburtstag mehr, jetzt habe ich nur noch Hochzeitstag. Meine Erinnerungen schweiften zurück, an den Beginn unserer Beziehung.
Es war Spätsommer 1976. Ich wurde innerhalb der Höchst AG zur Abteilung Biochemie versetzt. Das war ein ganz gewöhnlicher Vorgang, denn in der Zentralforschung der Firma wurde Grundlagenforschung in Projektform betrieben. Und Projekte kamen und gingen. So arbeitete man ständig auf neue, interessante Forschungsgebiete der Chemie und nun auch der Biologie.
Mein neuer Vorgesetzter baute in unserem Arbeitsgebäude ein neues Labor auf, in dem die notwendigen chemischen Arbeiten für seine Forschungen durchgeführt werden sollten. Dieses Labor sollte ich betreuen. In einem weiteren Gebäude waren bereits die Laboratorien untergebracht, in denen die biologischen Arbeiten verrichtet werden konnten. Seine dortige Mitarbeiterin und damit meine neue Kollegin, war jenes Fräulein mit dem Namen Christiane.
„Was ist das für ein hübscher Käfer“. Jawohl, genau dies waren meine ersten Gedanken, beim Kennenlernen dieser zierlichen, etwa gleichaltrigen jungen Dame. Sie kam ein wenig blass, mit dunklen, leicht gewellten Haaren daher. Ihre Kleidung war adrett und modern. Beim Sprechen bemerkte man sofort einen netten kleinen französischen Akzent.
Das wäre eine Frau zum Verlieben gewesen. Aber leider war ich gerade mit ganz heißen Ohren hinter einer anderen Lady her. Eine Liaison, die sich nie erfüllen sollte. So aber blieben unsere Kontakte auf sehr angenehmer und freundlicher Weise, rein dienstlicher Natur. Schon im Herbst 1977 wurde mein Chef für eine längere Zeit, dienstlich nach England beordert. Ich wurde innerhalb des Hauses erneut versetzt, sie blieb in der Biologie. Daher kam es, dass sich die Wege von Christiane und mir sehr bald wieder trennten.
Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte.
Schon bald nach dieser Umsetzung trat ich meinen Zivildienst an. Nun hatte ich 16 Monate lang ein anderes, sehr ereignisreiches Beschäftigungsfeld in einer Kirchengemeinde. Aber auch diese Zeit endete und es ging wieder zurück ins Labor. Dort arbeitete ich in einem Projekt der Katalyse-Gruppe. Manchmal noch dachte ich mit einer kleinen, heimlichen Sehnsucht an mein Fräulein aus der Biochemie.
Dann kam das Jahr 1983. Im Haus sollte eine neue Abteilung aufgebaut werden: Die Biokatalyse. Leiter dieser Gruppe sollte jener Akademiker sein, der einst mein Chef gewesen war. Es überraschte mich nicht, dass ich dort hin eingebunden werden sollte. Ob meine kleine Französin auch wieder dabei sein würde?
Diese Frage klärte sich sehr bald. Denn wenig später saß ich meinem ehemaligen und nun auch zukünftigen Vorgesetzten gegenüber, der mich freundlich zu diesem vorbereitenden Gespräch begrüßte. Es entwickelte sich ein offener Dialog, in dem auch unsere alte Zusammenarbeit ausgiebig gewürdigt wurde. Am Ende unseres Gespräches fügte er noch hinzu: „Ach übrigens: Fräulein Christiane wird auch wieder in der Gruppe sein!“
Sekundenschnell schoss mir der freudige Gedanke durch den Kopf: „Das ist ja herrlich, vielleicht kann ich ihr ja jetzt etwas näherkommen.“. Doch schon hörte ich, wie der Abteilungsleiter bedauernd weitersprach: „Aber sie wird uns bald verlassen, denn sie ist schwanger und wird demnächst heiraten.“ Ohne dass ich meine Enttäuschung allzu deutlich zeigen wollte, dachte ich nur: „Schade“
Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte.
Aus dem netten französischen Fräulein wurde eine Ehefrau und Mutter. Sie blieb die ihr zugedachte Zeit daheim und kam nach ihrer Elternzeit zurück zur Zentralforschung. In den folgenden Jahren arbeiteten wir zuweilen zusammen in einem Labor, oft aber in verschiedenen Abteilungen des Hauses. Jedoch verloren wir uns nicht aus den Augen. Oft erzählten wir uns von den Problemen unserer Arbeit, aber auch von denen, die wir im Privaten hatten. So hatten wir immer ein offenes Ohr füreinander.
So kam es eines Tages, Ende des Jahres 1999, dass wir gemeinsam mit anderen im Raucherkeller saßen und uns eine kleine Pause gönnten. Dann kam von irgendwo aus der Gruppe ein unausgesprochenes Signal zum Aufbruch. Nur Christiane blieb sitzen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als wolle sie zu mir sagen: „Bleib doch noch einen Augenblick“.
Ich tat ihr den Gefallen, blieb allein mit ihr zurück. So konnte sie mir in überraschender Weise eröffnen, dass sie sich von ihrem Mann trennen wolle, dass dieser sich bereits eine eigene Wohnung gesucht hätte und sie mit ihrer Tochter einen neuen Weg gehen möchte. Und schon in diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass von ihrem Standpunkt aus gesehen, dieser neue Weg mich durchaus mit einschließen könnte.
In der folgenden Zeit war ich mir sehr unschlüssig. Was sollte ich tun. Acht Monate dauerte es, bis ich sie zu einem ersten privaten Date einlud. Es war ein wunderschöner Tag, den wir mit Spaziergängen rund um den „Frankfurter Spargel“ verbrachten. Anschließend genossen wir ein gemeinsames Essen im „Feldbergblick“, welches durch ein heftiges Gewitter einen überhasteten Abschluss bekam. Wir sahen es gerade noch rechtzeitig aufziehen und flohen vor dem Unwetter zu mir nach Hause. Nun saßen wir bei mir und konnten am Fernseher miterleben, wie Frankreich Fußball-Europameister wurde. Abschließend genossen wir noch einen langen Teil des Abends durch munteres Plaudern.
Irgendwann wollte sie heimgehen. Doch ihr Fortgang ähnelte mehr einer Flucht, als an ein normales Weggehen. Ich war erschrocken: „Die hat ja Angst! Weiß sie denn nicht was sie will?“ Ja – Nein – Vielleicht? Nein, eine solche Fahrstuhl-Beziehung hatte ich schon zu oft erlebt. Das wollte ich nicht mehr haben. Wenn eine Frau nicht weiß was sie will, wird doch nie etwas draus! Am nächsten Tag sagte ich ihr das auch.
Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte.
„Wenn du Schmetterlinge im Bauch hast, dann lasse sie doch fliegen“
Ich sagte ihr, dass ich gerne eine Beziehung zu ihr haben möchte. Aber auch ich wisse nicht genau ob dies klappen würde. Meinte, dass wir alt genug seien, uns auch einmal auf ein solches Risiko einlassen zu können. Am Anfang meinte sie noch kleine Tränen wegen meines: „Nicht so!“ vergießen zu müssen. Dann begriff sie, dass ich es ernst meinte und wir ließen uns ohne Wenn und Aber auf diese Beziehung ein. Im letzten Jahr, an meinem Geburtstag, haben wir dann geheiratet.
Wenn das nicht ein schöner Schluss unserer Geschichte ist.
Wieder hob ich mein Glas und nahm einen kleinen Schluck, schaute liebevoll zu ihr hinüber. Dann lächelte ich erneut verschmitzt in mich hinein:
Aber nein, das ist noch nicht das Ende der Geschichte.
Denn bis zu diesem, so hoffe ich, wird uns Gott noch ein paar wundervolle, gemeinsame Jahre schenken.
Hintergrund der Geschichte: Autobiographisches Schreiben.
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