„Huch! Die Welt bricht zusammen!“
Gerade noch lag ich im tiefen Schlaf versunken, da riss mich dieser infernalische Donnerschlag aus meinen bösen Träumen. Nun saß ich mit sicherlich kalkweißem Gesicht im Bett und schaute mich verwirrt im Zimmer um. Es wurde nur beleuchtet durch den Schimmer des nächtlichen Lichtes einer Großstadt, welches durch die schmalen Ritzen des nicht vollends geschlossenen Rollladens schimmerte.
Auf dem ersten Blick konnte ich keine Veränderung an der mir wohl bekannten Welt feststellen. Sie existierte also noch. Schon wollte ich mich erleichtert zurücklegen, da gewahrte ich plötzlich den blendenden Schein eines ungestüm am Himmel zuckenden Blitzes. Lauter Donner begleitete sofort sein Leuchten. Immer schneller zuckten die gefährlichen Himmelsboten über den Himmel und warfen ihren Schein in mein Schlafgemach. Immer infernalischer erklang sofort danach der Hall ihrer Macht und erschütterte die Mauern meines Domizils. Ein nächster Blitz. Und ein Donnerschlag, wiederum sofort darauffolgend, mit einer tönenden Gewalt als würde die Welt zusammenbrechen wollen.
Ich zog mir die Decke bis dicht an meinen Ohren heran. Als wenn sie mich schützen könnte. Immer wieder blickte ich voller Furcht zum Fenster. Da rieselte mir mit einem Mal ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Nicht nur der Rollladen zeigte seine Offenheit durch seine nicht vollständig geschlossenen Ritzen. Nein, auch das Fenster stand sperrangelweit offen. Allerschlimmste Gedanken schossen mir durch den Kopf:
„Wenn jetzt nur kein Blitz…“.
Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken. Denn gerade in diesen Augenblick geschah es. Ein Blitz, so mächtig, dass er seine liebe Mühe hatte, begann sich durch einen dieser Spalten zu zwängen. Noch quetschte er sich ein wenig hin und her, noch stopfte er sich mühsam nach. Erreichte dann aber den Durchgang in mein Schlafgemach. Er musste sich nicht lange orientieren. Schon strebte er stracks auf mich zu. Ich sah mit dem auf mich zurasenden blendenden Schein mein Ende kommen. Unwillkürlich zog ich die Decke noch ein wenig höher. Der Blitz schien nur höhnisch darüber lachen zu können. Er gab sich seiner Beute gewiss. Verzweiflung kam in mir auf. All meine wenigen annehmbaren, meine vielen schlimmen und meine noch viel häufigeren katastrophalen Lebensmomente zogen mit einer genüsslichen Langsamkeit vor meinen inneren Augen vorbei, als wollten sie, in diesem letzten meiner Momente, noch einmal jenes Leid und jene Schmerzen über mich ausschütten, welche sie mir zu ihrer Zeit schon einmal bereitet hatten. Ich wand mich unter seelischen Qualen und hoffte auf eine baldige Erlösung. Fast wollte ich in dieser auf mich zufließenden Gewalt einen Freund sehen, der Gutes an mir vollbringen sollte.
Unaufhörlich und langsam liefen diese grausamen Bilder, meines doch viel zu kurzen Lebens, an mir vorbei. Unaufhörlich und schnell strebte der Blitz auf mich zu. Schlug, wohl zu seiner eigenen Freude noch diesen Zick und jenen Zack. Dann hatte er mich fast erreicht. Mir schien als zögere er noch einen kleinen Moment, bestimmt suchend nach der geeignetsten Stelle, mir den Garaus zu machen. Und schneller, als ich es mir in meiner größten Verzweiflung auszumalen vermochte, schien er sich für ein Ziel entschieden zu haben. Ungebrochen strebte er meiner Nasenspitze entgegen.
Nun waren wohl alle Augenblicke meines Lebens gezählt. Doch gerade da geschah das unverhoffte Wunder.
Eine fiese kleine Mücke hatte sich schon vor einiger Zeit in meiner Bleibe eingenistet. In meiner Person und dem dazu gehörenden Körper eine willkommene und köstliche Quelle für ihr begehrtes Lebenselixier gefunden. Wie oft hatte sie mich schon aus ihrem unauffindbaren Versteck angeflogen. Immer wieder jene Augenblicke abwartend, in denen ich nicht auf ihr Kommen eingestellt war. Hatte mir, mit ihrer immer gleichen, für mich so schmerzhaften Prozedur, meinen Lebenssaft gestohlen. Nun war sie in ihrer hinterhältigen Art, wiederum unterwegs mich zu piesacken. Hatte sich, wie auch der Blitz, gerade für jenes Ziel entschieden, um es mit ihrer absonderlichen Gier nach Blute zu malträtieren. Mit der gleichen Zielstrebigkeit steuerte sie auf mich zu. Es waren nur wenige Zentimeter von meiner Nasenspitze entfernt, als sich nun jene unerwartete Tragödie abspielte, die mir mein Leben retten sollte.
Der Blitz, seines Zieles sicher, nicht auf ein Hindernis eingerichtet, traf die von der Seite herbei strebende Mücke in ihrem Zentrum. Sie wird wohl überhaupt nichts gespürt haben. Gerade noch mit freudiger Gier zur Ernte eilend, verdampfte sie im Bruchteil einer Sekunde, indem sie die gesamte Gewalt des Blitzes mit einem lauten Donnerschlag auf sich lud.
Wie betäubt saß ich im Bett. Erschüttert von dieser Tragödie, die sich direkt vor meinen Augen abgespielt hatte. Unwillkürlich empfand ich Bedauern, wusste aber nicht so recht, wem es eigentlich gelten sollte. Doch dann löste sich meine Starre und ich begann zu handeln. Schnell schloss ich mein Fenster und sperrte alle weiteren Blitze aus meinem Zimmer aus. Schwer atmend saß ich wieder im Bett und kam langsam zur Ruhe. Erneut schüttelte es mich. Nur knapp war ich dem Tode entronnen. Das Wichtigste aber war: Auf keinen Fall wollte ich jene grausamen Bilder meines vergangenen Lebens, noch einmal an mir vorüberziehen sehen müssen.
Hintergrund der Geschichte: Die ernsthafte Frage einer Kollegin im Labor, nach einem Gewitter in der Nacht, ob ein Blitz durch ein offenes Fenster einschlagen kann. Ich habe mir dann eben so meine Gedanken gemacht.
2,5 Seiten